ESG-Strategie: Der Schlüssel zu Wachstum und Attraktivität

Nachhaltigkeitsberichte erfassen zunehmend auch den Mittelstand. Lästige Pflicht oder Chance zum Überholen?

ESG-Strategie: Der Schlüssel zu Wachstum und Attraktivität
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Werner & Mertz? Der Name mag unbekannt klingen, doch die Marke „Frosch“ kennt fast jeder. 2008 nutzte die Mainzer Firma erstmals recycelten Kunststoff für ihre Reinigerflaschen. Danach investierte sie kräftig in eine neue Verpackungsstrategie. „Wir verzichten auf mehr Umsatz wegen der höheren Kosten“, sagte Firmenchef Reinhard Schneider zu „Mainzund“. Der Einsatz lohnte sich: 16 Jahre später ist Werner & Mertz nach eigenen Angaben Weltmarktführer mit 297 Millionen PET-Flaschen aus Altplastik. Seit Frosch mit recycelten Flaschen wirbt, stieg der Umsatz um zehn bis 15 Prozent. „Den Konsumenten interessiert die Verpackung“, so Schneider. „Unser Gewinn ist schmaler, aber wir planen in Generationen. “ 

Thema für Familienunternehmen

Familienunternehmen denken langfristig, daher passt ESG zu ihnen, meint Felix A. Zimmermann. Der langjährige Unternehmer und Unternehmensberater veröffentlichte zur Klimakonferenz „COP2023“ in Dubai das Buch „ESG – Made in Germany“. ESG steht für „Environmental, Social, Governance“. Es umfasst Umweltaspekte wie erneuerbare Energien, soziale Verantwortung wie faire Arbeitsbedingungen und ethische Unternehmensführung. 

Zimmermann wirbt in seinem Buch mit dem Untertitel „Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie für deutsche Familienunternehmen“ dafür, ESG als Chance zu sehen. „Manche Unternehmer glauben, nach einer Abwahl der Grünen werde das grün-rote Hirngespinst wohl vom Tisch sein. Aber sie irren sich. Das Nachhaltigkeitsthema ist nahezu verfassungsrechtlich verankert. Alle anderen Gesetze in der Kaskade sind eine Folge des Green Deals“, sagt Zimmermann. Der Green Deal verpflichtet die EU, bis 2050 die Netto-Treibhausemissionen auf null zu senken. „Nichtstun oder Abwarten ist das größte Risiko, das man unternehmerisch eingehen kann.“ Seit 2017 müssen die größten deutschen Firmen über ESG berichten. Die neue EU-Richtlinie weitet dies auf rund 15.000 Unternehmen aus. Zimmermann: „Die ESG-Berichterstattung wird qualitativ so wichtig werden wie der Jahresabschluss.“

ESG macht Firmen interessanter 

Braucht es einen Turnaround für ESG? „Ich würde gar nicht mal von Turnaround sprechen“, meint Felix A. Zimmermann. Sein Buch zeigt zehn Mittelständler aus Baden-Württemberg, die ESG klug
integriert haben. 

Etwa Witzenmann. Der Hersteller geflochtener Schmuckarmbänder stellte später um auf geflochtene Schläuche für Verbrennungsmotoren und produziert inzwischen Schläuche für Wasserstofftransport – neben vielen anderen Veränderungen im ESG-Sinne. Schmalz, weltweit führend in der Vakuumtechnik, schneidet mit verschiedenen Produkten beim Lebenszyklus in der Energieeffizienz und der CO2-Bilanz deutlich besser ab als vergleichbare chinesische Produkte. „Für große Kunden wie VW, die ESG-Reporting betreiben, wird ein Lieferant wie Schmalz gerade darum interessant“, so Zimmermann.

ESG durchdringt alle Unternehmensbereiche. „Wenn es ein Querschnittsthema gibt, dann ist es ESG“, sagt auch Tina Deutsch, Co-Gründerin und Gesellschafterin der Unternehmensberatung Klaiton. Es kommt mit Macht, ähnlich der Datenschutzgrundverordnung. Nur: „ESG ist viel größer.“ Noch, so ihre Einschätzung, bietet ESG die Chance, Geld zu verdienen: „Solange ESG noch nicht für alle Unternehmen gilt und auch die Kontrollen noch nicht für alle Unternehmen möglich sind, lässt sich mit ESG noch ein Wettbewerbsvorteil erzielen.“

Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung und Kundenkommunikation

Ein zentraler Erfolgsfaktor von Werner & Mertz (Frosch) ist die Verbindung von Nachhaltigkeit mit klarer Kundenkommunikation. KMU können von diesem Ansatz lernen, indem sie nachhaltige Innovationen in ihrer Produktentwicklung direkt sichtbar und greifbar machen – etwa durch das Design ihrer Produkte. Ein Beispiel könnten kleinere Hersteller von Lebensmitteln oder Kosmetika sein, die recycelbare Verpackungen nicht nur einsetzen, sondern aktiv als Verkaufsargument hervorheben.

Ein KMU, das von Frosch inspiriert wird, könnte etwa die Einführung von Nachfüllstationen in Supermärkten oder eigenen Geschäften erwägen. Solche Systeme bieten Verbrauchern nicht nur die Möglichkeit, Müll zu reduzieren, sondern stärken auch die Kundenbindung, da Käufer häufiger Kontakt mit der Marke haben. Dies schafft eine Win-Win-Situation: Mehr Nachhaltigkeit, niedrigere Produktionskosten und ein Alleinstellungsmerkmal, das schwer von größeren Konkurrenten zu kopieren ist. Zusätzlich könnten KMU durch Partnerschaften mit lokalen Recyclinginitiativen ihre regionalen Wurzeln betonen und so nicht nur nachhaltig handeln, sondern auch ihr Image als verantwortungsbewusstes, lokales Unternehmen stärken.

Tod vieler Geschäftsmodelle 

Einige große Modekonzerne haben rechtzeitig umgesteuert. Tina Deutsch: „Inzwischen gibt es Fast-Fashion-Unternehmen, die einen relevanten Anteil ihrer Gesamtumsätze mit Secondhand-Mode erzielen – weil sie erkannt haben, dass ihr ursprüngliches Geschäftsmodell, das auf dem Wegwerfen von Ein-Euro-T-Shirts basiert, auf Dauer wahrscheinlich nicht funktionieren wird: wegen ESG, aber auch wegen der Nachhaltigkeitsansprüche der Konsumenten.“ Ein klassischer Transformationsweg: Kauf von Secondhand-Startups und Aufbau von Prozessketten. 

„Geschäftszweige und Businessmodelle, die bisher darauf gesetzt haben, etwa Menschen im globalen Süden auszubeuten oder der Umwelt zu schaden, werden dies unter ESG nicht mehr so einfach tun können“, zeigt sich Tina Deutsch überzeugt. „Ob ich nun Chemikalien in den Fluss schütte oder ob ich bestimmte Gruppen gezielt ausnutze – solche Verhaltensweisen lassen sich dann nicht mehr als Externalitäten abtun, die mich nichts angehen.“ ESG wird solche Modelle zerstören. Diese Bewegung erfasst neue Wirtschaftszweige, etwa Immobilien oder Dienstleistungen. „ESG verändert beispielsweise das Portfolio von versicherungsfähigen Produkten total“, berichtet Deutsch. „Wenn ich den Bau eines Gaskraftwerks künftig nicht mehr versichern lassen kann, wird es auch nicht mehr gebaut.“ Kunden und Konsumenten werden für den Nachhaltigkeitsprozess immer wichtiger: „Bei einem großen Unternehmen, das Lichtlösungen für große Hotelketten und Restaurants macht, sagte man mir: ‚Es geht hier nicht nur um die Regulatorik, sondern unsere Kunden wollen unsere Lichtsysteme nicht mehr kaufen, wenn wir ihnen unsere Scope-3-Emissionen – also die Emissionen unserer Zulieferer – nicht transparent und detailliert darstellen können.‘“

Zimmermann und Deutsch sind überzeugt: ESG ist ein unternehmerisches Thema. „Allerdings ist die Führungsebene oft das Problem“, sagt Deutsch. Eine Lücke klafft zwischen Erkenntnis und Handeln. Von 700 befragten Mittelständlern in Europa halten 80 Prozent Klimaschutz für wichtig, Dreiviertel sehen die grüne Transformation als Chance. Doch nur elf Prozent investieren auf diesem Gebiet stark und haben einen Plan zur Treibhausgasreduktion. Jetzt zu handeln, bietet noch eine echte Chance.

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