Der Stahlhandel ist ganz offensichtlich eine Wissenschaft für sich. In dem Nachlagewerk „Stahlschlüssel“, welches früher einmal im DIN A4-Format mit über 720 Seiten als Buch existierte, sind alle Stahlsorten aufgelistet. „Insgesamt sind das mehr als 75.000 verschiedene Marken und Normen von etwa 300 Stahlwerken und Lieferanten“, erklärt Geschäftsführer Reiner Neuhaus. „Stahl ist ein hochkomplexes Produkt. Wir handeln überwiegend mit legierten und unlegierten Edelbaustählen, Werkzeugstählen, Schnellarbeitsstählen in blanker und gewalzter Ausführung und mit rost- und säurebeständigen Stählen.“ Konkret heißt das zum Beispiel, was einmal in den etwa 2000 Quadratmeter großen Hallen in Remscheid lagerte, verwandelt sich irgendwann in Profiwerkzeuge wie zum Beispiel Schraubendreher, Inbusschlüssel, Bits oder Meißel. Auch Körner und Durchschläger werden aus unserem Werkzeugstahl produziert. Die legierten Edelbaustähle sind für Produkte in der Pumpenindustrie und für die E-Bike-Produktion gefragt, sowie für Spezialwerkzeuge zur Verwendung im Automobilbau.“ Wenn in einem gemauerten Haus Löcher für Steckdosen entstehen sollen, greift man zu speziellen Bohrkronen, die ebenfalls aus besonderem Stahl gefertigt werden. In den Hallen von der Wilhelm Jungermann GmbH lagern etwa 1800 bis 2000 Tonnen davon. Wenn derzeit die Branche über Umsatzeinbußen klagt und mit der Billigkonkurrenz aus China kämpfen muss, dann berührt das die Mannschaft im Remscheider Traditionsunternehmen auch. „Wir punkten trotzdem mit Zuverlässigkeit und mit unserer Expertise. Zwischen unseren Kunden und uns ist das Vertrauensverhältnis über viele Jahre gewachsen“, so Reiner Neuhaus, „Das bedeutet, es zählt eben nicht nur der Preis, sondern auch der Service. Wir liefern ausschließlich Stahl aus Europa. Und wir liefern stabil. Geld, das man bei vermeintlich günstigen Anbietern vielleicht kurzfristig spart, geht dann ganz schnell wieder verloren, wenn es zu Lieferengpässen kommt und die Maschinen stillstehen. Hinzu kommt, dass wir mit einigen Fachleuten aus der Metallbranche zusammenarbeiten, die auch kurzfristig bei Problemen in der Produktion mit ihrem Expertenwissen helfen können.“
Familienunternehmen mit über hundertjähriger Tradition
Firmengründer Wilhelm Jungermann war der Urgroßvater mütterlicherseits des heutigen Inhabers Reiner Neuhaus. „Mein Urgroßvater war ein sehr umtriebiger Kaufmann“, so Neuhaus, „1906 gründete er zunächst einen kaufmännischen Handel und später mit seinem Schwiegersohn, Ewald Westebbe, einen Betrieb, in dem Massendrehteile aus Holz hergestellt wurden. Teile von Geländern kamen zum Beispiel aus seiner Produktion. Am damaligen Standort der Holzdrechslerei im Sauerland nutzte er sogar die Wasserkraft für eine Turbine zur Stromerzeugung, was vergleichsweise selten war. Mein Vater stieg dann irgendwann in den Familienbetrieb ein. Als sich die Holzfertigung nicht mehr rechnete, weil die gedrehten Stäbe nicht mehr so gefragt waren, erwarben mein Vater und mein Großvater Drehautomaten für die Metallbearbeitung. Der enge Kontakt meines Vaters zu den Werkzeugherstellern in Deutschland war die Basis für die spätere Neuorientierung des Unternehmens von der Automatendreherei zum Stahlhandel. Mein Vater hatte zuvor lange bei einem großen Stahlhersteller im Außendienst gearbeitet und fühlte sich daher in der Branche zuhause.“ Reiner Neuhaus übernahm dann in 4. Generation die Führung im Jahr 2009. Er ist gelernter Elektro-Ingenieur (FH). Gerade weil er um die komplexen Zusammenhänge im Stahlhandel weiß, mögliche Risiken und Kostenfallen kennt, war es ihm so wichtig, die Service-Leistungen seines Unternehmens zu intensivieren.
Kurzfristige und unkomplizierte Unterstützung leisten, damit die Maschinen nicht teuer stillstehen
Reiner Neuhaus und sein zehnköpfiges Team haben schon vielen Unternehmern bei ihren Verarbeitungsproblemen geholfen. „Unsere Experten und Sachverständigen sind oft gefragt“, betont Reiner Neuhaus, „Erst kürzlich hatte ein Kunde einen massiven Ausfall bei der Fertigung einer Feder für einen Drehmomentschlüssel. Wir legten einige Referenzteile unserem Werkstoffprüfer zur Untersuchung vor und konnten nachweisen, dass seine Härterei das Wärmebehandlungsverfahren nicht korrekt angewendet hatte.“ Einmal schickte Neuhaus sogar seinen eigenen LKW Freitagnachmittag in den Schwarzwald, weil ein Kunde von ihm ganz dringend bestimmte Mengen und Abmessungen Stabstahl und Ringe benötigte. „Oft können wir auch mit Stahl aus unserem Lager aushelfen, so dass eine Produktion nicht ruhen muss, während auf neues Material gewartet wird.“ Jungermann handelt ausschließlich mit Stahl aus europäischer Produktion. „Wir setzen da bewusst auf Qualität und sind damit auch immer gut gefahren“, erklärt Reiner Neuhaus. „Hinzu kommt, dass es bestimmte Stahlsorten auf anderen Kontinenten gar nicht gibt. Zwar haben wir keine eigene Produktion, aber ein gutes Netzwerk von Partnern, die für uns den selber eingekauften Walzdraht verarbeiten, auch um spezielle Profile herzustellen.“
Nachhaltig unterwegs und bestens vorbereitet auf Spezialfälle
Stahl ist ein Werkstoff, von dem die Stabilität ganzer Gebäude abhängen. Und es gibt viele Fehler, die im Umgang mit diesem Material schon bei der Herstellung oder beim Wärmebehandlungsverfahren unterlaufen können. Reiner Neuhaus: „Wir bilden zurzeit einen eigenen Werkstoffprüfer aus, in Kooperation mit einem Labor. Wir arbeiten mit mehreren Fachlaboren zusammengearbeitet, denn sowohl in physikalischer als auch in chemischer Hinsicht treten immer wieder Qualitätsprobleme auf. „Überhaupt ist es unsere Stärke, Stähle aus unserem Portfolie für spezielle Anwendungsfälle zu besorgen, damit haben wir uns einen Namen in der Branche gemacht“, erläutert Reiner Neuhaus. Mit einer eigenen Photovoltaikanlage, einer Ladesäule und einem elektrischen Gabelstapler nebst Hybridfahrzeug realisiert Jungermann sein tägliches Business noch dazu besonders nachhaltig. Besonders liegt Reiner Neuhaus der zwischenmenschliche Umgang im „stahlharten Business“ am Herzen. „Das gilt im Umgang mit den Kunden, und vor allem auch untereinander. Wir haben besonders motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen wir voll vertrauen und ihnen daher auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung übertragen, was die Anwesenheitszeiten und die eigene Organisation angeht. Von den Kunden bekommen wir für unseren Service immer sehr gutes Feedback, Begründung: ‚Hier spricht man immer mit Menschen‘“.